Aller Anfang ist schwer

Die ersten Jahre: Die Vorgeschichte

© A. Zelck / DRKS

Das Bestreben der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren ist es, das DRK stärker als bisher an den NS-Staat heranzuführen, seine Organisation weiter zu straffen und für die Verwendung im Sanitätsdienst der Wehrmacht tauglicher zu machen. Zu diesem Zweck erhält die deutsche Rotkreuz-Gesellschaft mit dem „DRK-Gesetz“ vom 9. Dezember 1937 und der ihm folgenden Satzung eine neue rechtliche Grundlage. 

Aus dem eingetragenen Verein „Deutsches Rotes Kreuz“ wird unter Einschluss der bisher noch selbständigen Verbände, Vereine und Untergliederungen die neue „Einheit Deutsches Rotes Kreuz“ – streng hierarchisch und nach dem gleichen Ämterschema von der Spitze bis zur Basis gegliedert: vom Präsidium in Berlin über die – zunächst 13, später 18 – Landesstellen bis hin zu den auf Stadt- und Landkreisebene angesiedelten Kreisstellen mit ihren männlichen und weiblichen Bereitschaften.

Die Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 trifft das Rote Kreuz in seiner Existenz. 

Am 19. September 1945 verfügt die sowjetische Militäradministration – unter ausdrücklichem Hinweis auf die Nähe des DRK zum NS-Staat – für ihren Bereich die Auflösung der deutschen Rotkreuz-Gesellschaft. Die Amerikaner, und schließlich der gesamte Alliierte Kontrollrat, schließen sich diesem Votum an – allerdings wird in den Westzonen die Fortführung der praktischen Rotkreuz-Arbeit auf den unteren Ebenen gestattet. 

Und in unserer Heimat?

In diesen schwierigen Zeiten formiert sich auch das Rote Kreuz im Landkreis Stade neu.

Am 27. August 1945 wird aus der ehemaligen „Kreisstelle“ des Roten Kreuzes der „Kreisverband“ Stade. Vorläufiger Vorsitzender des Kreisverbandes wird der amtierende Landrat Nikolaus von Borstel, sein Stellvertreter ist Dr. med. Wilhelm Hancken aus Stade. Am 28. Juni 1947 wird Wilhelm Wiebusch auf Beschluss des Vorstandes zum Geschäftsführer ernannt. Ende 1948 gibt er diese Tätigkeit auf.

Dr. med. Wilhelm Hancken, Stade, erster Vorsitzender 1947

Anfang 1946 leben in Stade 16.957 Einheimische und 13.932 „Displaced Persons“. Die unerträgliche Enge der Behelfsheime und Wohnungen führt zu einem Streit um jeden Quadratmeter Wohnraum. Für die über 30.000 Menschen stehen lediglich 11.760 nutzbare Wohnräume zur Verfügung. Davon beschlagnahmt die britische Militärregierung 950 Wohnungen für ihre eigenen Zwecke.  Die Läden sind leer. Die ausgeteilten Lebensmittel stehen in keinem Verhältnis zum Hunger. Statt der pro Tag veranschlagten 1.553 Kalorien kann nur etwa die Hälfte geliefert werden.

Die erste „Geschäftsstelle“ des Roten Kreuzes befindet sich im Januar 1946 in der Stader Ritterstraße 1. Bereits im Juli desselben Jahres ist sie in die Bungenstraße 4 umgezogen. Im November wird das DRK-Übernachtungsheim eröffnet.

1947 normalisiert sich das Leben langsam. Das Rote Kreuz hat seinen Sitz nun in der Baracke Kehdinger Mühren 11. 

Im Juni 1948 setzt überall hektische Betriebsamkeit ein. Stade rüstet sich für die Währungsreform. Am 20. Juni sind alle „gleich reich“. 

Die Neugründung des DRK-Kreisverbandes Stade e.V. erfolgt auf den Mitgliederversammlungen am 10. September 1947 und 15. Oktober 1947. Zum ersten Vorsitzenden wird Dr. med. Wilhelm Hancken gewählt.

Verhandelt werden am 10. September die folgenden Tagesordnungspunkte:

  • Gründung des Kreisverbandes Stade
  • Errichtung der Satzung
  • Wahl des Vorstandes
  • Verschiedenes

Nach Erörterung der gegebenen Sach- und Rechtslage wird die Gründung des Kreisverbandes Stade im Landesverband Niedersachsen und nach Verlesung des Entwurfs die Satzung einstimmig beschlossen.

In den Vorstand werden einstimmig gewählt:

  • Dr. med. Wilhelm ­Hancken, Stade, als ­Vorsitzender
  • Dr. med. Hugo Wolff, Steinkirchen, als ­stell­vertretender ­Vorsitzender und Leiter der Männerarbeit
  • Frieda Marquardt,
    Stade, als Leiterin der Frauenarbeit und Schriftführerin
  • Buchhalter Helmut ­Ebeling, Stade, als Schatzmeister
  • Anneliese Rüdiger, ­Buxtehude, als Vertreterin der Flüchtlinge

Außerdem werden als Mitglieder des Vorstandes gewählt:

  • Landrat Nikolaus von Borstel, Stade
  • Bürgermeister Ludwig Jürgens, Stade
  • Bürgermeister Wilhelm Geerken, Buxtehude
  • Bürgermeister August Hillert, Harsefeld
  • Rixa von Reden-Lütcken, Holenwisch

Als vorrangigste Aufgaben werden die folgenden Bereiche angeführt:

  • die Errichtung neuer Ortsvereine
  • die Werbung neuer ­Mitglieder 
  • die Errichtung rechts­gültiger Satzungen für die Ortsvereine

Man würde es begrüßen, „wenn die bestehenden Frauenvereine sich in Ortsvereine umbildeten, 

um durch die Aufnahme zahlungsfähiger männlicher Mitglieder die finanzielle Grundlage der örtlichen Vereine und damit des Kreisverbandes und des Deutschen Roten Kreuzes überhaupt zu sichern. Der Kreisverband seinerseits werde überall dort Einrichtungen wie Schwesternstationen und Kindergärten schaffen, wo das örtlich notwendig und möglich sei und die Ortsvereine an der Gestaltung und Verwaltung der Einrichtungen weitgehend beteiligen. Um in der Errichtung und Umbildung der Vereine tatsächlich weiterzukommen, werde der Vorsitzende in nächster Zeit mit dem Geschäftsführer zu den einzelnen örtlichen Vereinen kommen. Die Werbung neuer Mitglieder müsste dann in enger Zusammenarbeit mit den männlichen und weiblichen Bereitschaften vorgenommen werden, möglichst von Haus zu Haus. Anschließend könnten dann neue Mitglieder für den männlichen und weiblichen Bereitschaftsdienst geworben werden. Hierfür kämen insbesondere auch Personen in Frage, die im Kriege im Krankenpflegedienst tätig gewesen seien. Im Übrigen sollten überall dort, wo die entsprechende Anzahl Teilnehmer vorhanden sei, neue Ausbildungskurse stattfinden.“

Der Abhaltung von Konzerten durch das Philharmonische Orchester der Kriegsbeschädigten in Jever zu Gunsten der Kriegsbeschädigten wird ebenso­ ­zugestimmt wie der Abhaltung von Konzerten zu Gunsten des Deutschen Roten Kreuzes durch die Inanspruchnahme des Frauenorchesters Wenzel in Verden. Für das Wenzel’sche Konzert werden folgende Orte festgelegt: Stade, Buxtehude und Jork.

Am 15. Oktober 1947 wird im Geschäftslokal des Kreisverbandes in Stade, Kehdinger Mühren 11 (Baracke) eine zweite Mitgliederversammlung abgehalten, da in der ersten Versammlung am 10. September 1947 nur ein Bruchteil der vorhandenen Orts- und Frauenvereine vertreten war und um somit alle möglichen Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit der in der ersten Mitgliederversammlung gefassten Beschlüsse auszuschließen. Die Tagesordnung besteht aus den gleichen Punkten wie am 10. September.

Der Gründung des Kreisverbandes Stade sowie seiner Satzung wird einstimmig zugestimmt. Ebenso werden wiederum alle am 10. September 1947 gewählten Vorstandsmitglieder einstimmig bestätigt. 

Ergänzend in den Vorstand gewählt werden außerdem:

  • Ottilie Steinbach, Stade, als Leiterin der weib­lichen Bereitschaft
  • Klaus Freese, Stade, als Leiter der männlichen Bereitschaft

Zu den ersten Tätigkeits­bereichen des Kreis­verbandes Stade gehören:

  • Unfallhilfsstellen (1946: 45 im gesamten Landkreis)
  • Bereitschaften (1946: drei; Stade, Buxtehude u. Freiburg)
  • 21 Frauenvereine 
  • eine Milchküche in Stade
  • mehrere Nähstuben
  • Mütterberatungsstellen
  • Sprechstunden für Flüchtlinge
  • Sammlungen für die freie Wohlfahrtspflege
  • Jugendgruppen (die erste 1948 in Jork)
  • acht Krankenpflege­stationen
  • Kinderlandverschickungen (Langeoog)
  • Säuglingspflegekurse
  • Schulspeisungen
  • Kinderfürsorgeein­richtungen (Stein­kirchen, Harsefeld)
  • ein Kinderheim ­(Buxtehude)
  • ein Übernachtungsheim (Stade)
  • der Suchdienst
  • Ausbildungen
  • Wohltätigkeitsfeste, „Bunte Abende“ und ­Eiersammlungen

1948 zählt der Kreisverband 2.724 Mitglieder in 21 Frauenvereinen/Ortsvereinen. Eine erste Mitgliederwerbung findet in der Woche vom 11. bis 18. Juli statt. Auch die Jugend rückt immer weiter in den Fokus. Am 14. Mai 1948 wird das Jugendrotkreuz (JRK) neu gegründet. Sein erster Vorsitzender ist Dr. med. Kurt Burgdorf. Die Geschäftsstelle hat nach dem Abriss der Baracke Kehdinger Mühren 11 nun ab Oktober die Anschrift Schiefe Straße 2 (ehemalige Lehrerbildungsanstalt). Ebenfalls im Oktober wird die erste Geldsammlung durchgeführt.

Erster Vorsitzender des Jugendrotkreuzes 1948, Dr. med. Kurt Burgdorf, ab 1949 Vorsitzender des Kreisverbandes

Am 12. Juli 1949 wählt die Mitgliederversammlung den Stader Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. med. Kurt Burgdorf zum neuen Vorsitzenden und Kreisbereitschaftsleiter des Kreisverbandes. Einen Monat später, am 17. August 1949 wird Gerhard Otto zum Geschäftsführer ernannt.

Der vom DRK betriebene Kindergarten in Steinkirchen wird zum 30. November 1949 aufgelöst.

Zum 1. März 1950 endet die Kinderspeisung in der Küche der Geschäftsstelle, Schiefe Straße 2, in Stade. Das DRK-Kinderheim in der Buxtehuder Bahnhofstraße 37 wird am 30. April 1950 aufgelöst.

Im September ziehen die ersten Bewohnerinnen und Bewohner in das DRK-Altenheim Hohenwedeler Weg 5 ein. Zum 30. September 1950 kündigt die Stadt Stade dem DRK die Räumlichkeiten im Übernachtungsheim und lässt dieses dann abreißen.

Die Bürgerinnen und Bürger, aber auch das Rote Kreuz mit seinen vielen engagierten Helferinnen und Helfern haben das Chaos der ersten Nachkriegsjahre mit viel Energie und großem Eifer überwunden. Die größten Probleme sind weitgehend gelöst. Der Neubeginn erfordert zwar äußerste Anstrengungen, doch zum Wohle der Gemeinschaft ist vieles in geregelte Bahnen gelenkt. Das Wirtschaftswunder kann beginnen.