Zwischenstopp für Geflüchtete
Ingolf Hillecke ist hier der „Küchenchef“ und für die Essensausgabe zuständig. Fotos: Justus
Seit der russischen Invasion in die Ukraine sind Millionen von Menschen auf der Flucht. Im Ausländerzentralregister wurden seit Februar 2022 über 960.000 Flüchtlinge in Deutschland gemeldet. Ihr Weg führt in den meisten Fällen in eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Ein solcher Aufenthaltsort ist die Notunterkunft im ehemaligen Impfzentrum in Stade-Ottenbeck, die vom Landkreis Stade betrieben wird. Zum Schutz der Geflüchteten ist der Zugang für Außenstehende nicht gestattet. Daher bewacht ein Sicherheitsdienst den Eingangsbereich. Für unseren Bericht wurde eine Ausnahme gemacht und wir durften hinter die Tore blicken.
Laut und überfüllt?
Es ist kurz vor Mittag, mitten in der Woche, in der Notunterkunft Ottenbeck. Anders als erwartet, gibt es hier keinen Lärm und keine Menschenmassen. Wie sich später herausstellt, sind an diesem Tag mit den Beschäftigten über sechzig Menschen, darunter überwiegend Frauen, Kinder und ältere
Menschen, in dem Gebäude.
Bei dem Gang durch die großen Lagerhallen fällt ein abgegrenzter Raum mit der Aufschrift „Quarantäne“ auf. Dort wurden kürzlich eine aus der Ukraine geflüchtete Familie sowie zwei weitere Personen, die an Corona erkrankt sind, untergebracht – wie der Einsatzleiter Frank Burfeindt mitteilte. Zusammen mit den Zwillingsbrüdern Ulrich und Andreas Neumann sorgt er für die reibungslosen Abläufe, Planung sowie Organisation und unterstützt sein zehnköpfiges Team bei allen anfallenden Aufgaben.
Nur ein Zwischenstopp
Seit Anfang April 2022 bietet die Notunterkunft den ukrainischen Flüchtlingen einen vorübergehenden Unterschlupf. Bereits nach vierzehn Tagen geht die Reise für die Geflüchteten weiter. Die Ausländerbehörde des Landkreises Stade stimmt gemeinsam mit den Hansestädten und den Gemeinden ab, in welcher Kommune die Geflüchteten anschließend Wohnraum zur Verfügung gestellt bekommen. Für Frank Burfeindt und sein Team heißt es alle zwei Wochen „alles auf Anfang“. Zunächst der Empfang, dann die Corona-Tests durchführen sowie die Abläufe erklären und anschließend die „Gäste“ – wie sie hier genannt werden – zu ihren Zelten begleiten.

Ausstattung
Diese sind mit acht bis zehn Doppelstockbetten und einer Nummer im Außenbereich versehen. Für die Kinder wurden bunte Bilder angebracht, damit sie sich besser orientieren können. Zwischen den Zelten gibt es Spinde zum Verschließen persönlicher Sachen. Nicht weit entfernt in einem umzäunten Bereich befindet sich eine Spielecke mit gespendeten Spielzeugen. In einer weiteren Halle sind Waschmaschinen und Wäscheständer sowie abgetrennte Damen- und Herrenduschen zu finden. Für die Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge stehen die ersten Hygieneartikel sowie einzelne Kleidungsstücke für den Notfall zur Verfügung. „Wir geben unser Bestes, damit sich die Menschen wohlfühlen.
Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass es eine Notunterkunft ist“, sagt Frank Burfeindt.

Für mehr gerüstet?
Der 55-Jährige engagiert seit 40 Jahren beim DRK und bringt reichlich Erfahrung aus dem Bereich des Katastrophenschutzes mit: „Wir planen Wochen voraus, denn wir können nicht in die Glaskugel schauen. Im Moment ist es hier relativ ruhig, aber die Lage kann sich schnell ändern“, erklärt der Einsatzleiter, der eine Zunahme von 300 Flüchtlingen nicht ausschließt. Die Aufnahmekapazitäten sind vorhanden. Mehr Vertriebene heißt jedoch mehr Duschen und Toiletten, mehr Personal und mehr Investition in die Technik, wie Landrat Kai Seefried berichtet. Noch ist unklar, wer für die gesamten Kosten aufkommen wird. Für ihn steht jedoch fest: „Es liegt in unserer Verantwortung, für die Menschen, die in unseren Landkreis kommen,
angemessene Rahmenbedingungen zum Leben zu schaffen.“ Der Start ist trotz der herausfordernden Suche nach einer geeigneten Halle gut gelungen. Besonders lobenswert seien laut Kai Seefried die Zusammenarbeit mit dem DRK sowie die Beteiligung der Hilfsorganisationen, die gemeinsam ehrenamtlich die Unterbringung aufgebaut haben. Das sind die DLRG, das Technische Hilfswerk, die Feuerwehr und der Malteser Hilfsdienst.

Tatkräftige Unterstützung von allen Seiten
In der Notunterkunft Ottenbeck ist die Teamarbeit ebenfalls das A und O. Die Angestellten haben zwar eine feste Aufgabe, dennoch unterstützen sich alle gegenseitig und arbeiten an verschiedenen Stationen. Ihr gemeinsames Ziel: Hilfe leisten. Eckhard Tomfohrde gehört zu den Allroundern im Team: nachdem der ehemalige Ingenieur das Mittagessen abgeholt hat, kümmert er sich um die EDV. Als der 63-Jährige über die geflüchteten Menschen spricht, wird an seinen glasigen Augen deutlich, dass ihn ihre Schicksale sehr berühren. Die große Dankbarkeit der „Gäste“ ist das, womit alle nicht gerechnet haben. Immer wieder erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Blumen. Inzwischen wurde eine Pinnwand eingerichtet, an die selbst gemalte Bilder von Kindern und Familien sowie deren Dankes-Karten angehängt werden. Die Menschen möchten mithelfen. Sehen es nicht als selbstverständlich an, dass sie Unterstützung erhalten.
„Als wir die Zelte aufgebaut haben, packten die ukrainischen Männer sofort mit an“,
erinnert sich Lennart Magira, der neben seiner Tätigkeit als Hausmeister ein „Mann für Alles“ ist.
Geflüchtete überrascht
Kateryna P. ist mit ihrer 25-jährigen Enkelin und ihrem 4 Jahre alten Ur-Enkel aus der Ukraine geflüchtet. Vor der Ankunft in Stade kamen sie in einer Kaserne in Fallingbostel unter. Im Vergleich sei laut der 67-Jährigen die Notunterkunft in Ottenbeck ein Paradies, in dem Sauberkeit, Ordnung und ein wenig Privatsphäre durch die abgetrennten Schlafbereiche geboten werden. Insbesondere die Hilfsbereitschaft der hier tätigen Menschen fasziniere die Witwe, wie die Sprachmittlerin Anna Kasakov übersetzt.